Page 13 - Brücke 06 2017
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Berufung
Im Rahmen der Bibelschule, die uns Propädeutiker in Israel ermög-
licht wurde, habe ich das Buch des Propheten Jesaja für meine Kollegen aufbereitet. Besonders beeindruckt hat mich dabei die Berufung des Propheten in Kapitel 6: Jesaja sieht Gott in seiner Herrlichkeit, bleibt aber am Leben und wird durch glühende Kohlen auf seinen Lippen entsühnt. Gott fragt: „Wen soll ich senden? Wer wird für uns gehen?“ (Jes 6, 8), worauf sich Jesaja meldet und um die Sendung bittet. Dann erst bekommt er den erschütternden Auftrag, das Volk zu verstocken, bis alles „verödet“ und „menschenleer“ ist.
Jesaja spricht also sein „Hier bin ich!“ aus, bevor er weiß wozu ihn Gott senden möchte. Sein Ja gilt nicht einem Auftrag oder einer Funktion, die er übernehmen soll, sondern ganz allein Gott. Dem Gott, den er eben erst erfahren hat, als den Herrlichen, der ihn aus seiner Unreinheit und Sündhaftigkeit befreite. Dass die Aufgabe selbst kein Honiglecken ist, sondern im Gegenteil massiv belastend gewesen sein muss, wird zweit- rangig.
Gott fordert von uns also nicht in erster Linie irgendetwas zu tun, er
teilt nicht einfach Aufgaben zu, die er für notwendig erachtet. Nein, seine Berufung fragt zuerst nach uns selbst. Das „Hier bin ich!“ ist die Antwort des Glaubens, der vorbehaltlosen Hingabe an einen der sagt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege.“ (Jes 55, 8) Das heißt auch, dass dieser Schritt eine ständige Herausforderung darstellt, das Ungewisse im Vertrauen auf den Herrn anzunehmen.
„Und wo bleibt der Lohn?“, ist man versucht zu fragen. Eine mögliche Ant- wort  ndet sich im letzten Teil des Je- sajabuches, direkt nach der bekannten Passage zum Fasten: Auch hier steht nicht die P icht als solche im Vorder- grund, sondern es soll die Aufmerk- samkeit des Fastenden auf das Unrecht und die Notleidenden lenken, ihn also auf Gott und seinen Willen hin öffnen. Die Verheißung, die Jesaja für solche Knechte Gottes ausspricht ist unüber- bietbar: „Wenn du dann rufst, wird der HERR dir Antwort geben, und wenn du um Hilfe schreist, wird er sagen: Hier bin ich.“ (Jes 58, 9)
Florian Sachsenhofer Seminarist
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