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bruecke_06_2016

8 Das Jahr der Barmherzigkeit oder: „Was braucht der Mensch?“ Das Jahr der Barmherzigkeit ist eine gute Gelegenheit das Sozialpraktikum des Propädeutikums zu beginnen, war mein Gedanke. Und so machte ich mich voller Elan zu meiner Stelle ins Vinzenstüberl auf, einer Einrichtung für Obdachlose und Bedürftige in Linz, die von den Barmherzigen Schwestern betrieben wird. Dort durfte ich mithelfen, die Obdachlosen zu betreuen, ihnen Kleidung und warmes Essen auszugeben, aber auch, mich mit ihnen zu unterhalten, sie zu fragen: „Wie geht’s dir? Gut?“ Aber mit jedem weiteren Tag meines Praktikums, das einen Monat dauern sollte, sah ich immer mehr Elend, hungernde und kranke Menschen, schließlich war es Winter und manche hatten nicht mal einen Schlafplatz. Und so kam ich über die Wochen in eine Welt, die einem sonst immer verborgen bleibt. Daraufhin fragte ich mich die Tage immer wieder: „Wie können die Menschen auch diese Welt sehen, wenn sie doch immer wegsehen?“ Die Antwort darauf? Nicht alle sehen weg. Menschen wie Schwester Tarzisia und ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinenn setzen sich jeden Tag für Obdachlose ein. Sie sind es, die für sie da sind und ihnen helfen, wo sie nur können. Nicht zu vergessen sind auch die vielen mitfühlenden Leute aus Linz und Umgebung, die Essen und Kleider spenden, und sogar ihren freien Nachmittag opfern, um dort mitzuarbeiten. Sie und viele andere geben den Menschen auf der Straße einen Ort, wo sie willkommen sind. Dies und noch viele andere schöne und auch ergreifende Momente der Barmherzigkeit durfte ich in meinem Praktikum sehen und erfahren und erkennen, was der Mensch braucht. Natürlich brauchen sie warme Kleidung, medizinische Versorgung und etwas zu essen, aber vor allem denke ich, brauchen sie ein DU! Wir müssen auf sie zugehen, mit ihnen reden und sie wieder in unsere Mitte zurückholen. Ihnen zeigen, dass sie dazugehören! Anderen ins Gesicht sehen, sie wahrnehmen; Ausgegrenzte, Andersdenkende, Andersgläubige, Hilfesuchende. Ihnen Beachtung schenken, ihnen Worte zugestehen. Ansehen geschieht dort, wo Menschen zur Hilfe für die Schwester, den Bruder werden. Dies alles ist es, was Barmherzigkeit ausmacht. „Was braucht der Mensch?“ Stefan Alber Propädeutikum


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