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bruecke_06_2016

9 „Da ging er in sich“ – Momente der Umkehr Als der verlorene Sohn in eine immer düsterer werdende Situation kommt und man ihm nicht einmal mehr vom Futter der Schweine zu essen gibt, kommt für ihn die Situation, in der er „in sich geht“ (Lk 15,17). Es wird ihm endgültig bewusst, dass er in seinem Leben bislang auf die falschen Freuden gesetzt hat. Es zeigt sich ihm auf radikale Weise, dass der Spaß, der Genuss, das ungezwungene Dahinleben keinen bleibenden Halt geben kann – das Leben nach ihnen auszurichten führt letztlich ins Unglück. Im Moment des „In-sich-Gehens“ wird ihm bewusst, dass das Leben bei seinem Vater wohl nicht immer das pure Maximum an Vergnügen geboten hat, aber dass es ein Leben in Geborgenheit, Sicherheit und Stabilität war. Selbst den Tagelöhnern ergeht es noch wohl bei diesem Vater. Das führt den Sohn zur Erkenntnis, dass es für seinen weiteren Lebenslauf das Beste ist, zu seinem Vater zurückzukehren und dieses wahrhaft gute Leben damit wenigstens teilweise zurückzuerlangen. Solche Momente des „In-sich-Gehens“ erleben auch wir im Alltag immer wieder, wenn auch meist nicht in einer derart existenziellen Weise. Auf unserer Romreise haben wir an manchen Tagen viele Kirchen besucht – da kann man schon fragen, was einem der Besuch der achten Kirche, abgesehen von Kunst und Geschichte des Bauwerks, noch geben kann. Ich denke, es ist genau dieser Moment des „In-sich-Gehens.“ In jedem Kirchenraum haben wir die Möglichkeit, uns wenigstens eine Minute Zeit zu nehmen und uns der immer ausgestreckten Hand Gottes zu nähern. Das sind die Momente, die unser Leben immer wieder ausrichten auf unseren Schöpfer, der in all den Eindrücken und Gefühlen des alltäglichen Lebens, seien sie freudig oder traurig, erhaben oder nachdenklich machend, unsere Stütze und unser Halt bleibt. Haben wir nicht alle ein wenig die Züge des verlorenen Sohnes, der sein letztes Glück in den vergänglichen Freuden dieser Welt sucht? Gott der barmherzige Vater steht uns immer mit offenen Armen gegenüber. Nehmen wir diese Einladung an und versuchen wir bei jedem Kirchenbesuch die erneuerte Ausrichtung auf unseren Schöpfer hin – manchem mag die pure Stille, manchem ein Bibelwort helfen – die Gedanken gezielt zu sammeln. Jakob Stichlberger Seminarist


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