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bruecke_11_2015

18 Gehet hin und lernt was es heißt: „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer“ Oder: Über den Schmerz der Vorurteile Allein in den vergangenen fünf Monaten sind über drei Handys aus unserem Zimmer verschwunden. Die Sicherheit sagt uns nur, dass ein Mitbewohner dafür verantwortlich sein muss. Jeder von uns sehnte sich nach dem Tag, an dem wir den Dieb auf frischer Tat ertappen würden. Aber dann, am vergangenen Dienstag, als wir alle schliefen, etwa um zwei Uhr in der Früh, wachte Ben plötzlich auf; sein Handy war weg. Daraufhin machte er sich blitzschnell auf die Suche nach dem Handy. Er wühlte den ganzen Raum durch fand es aber nicht. Er tippte an meine Schulter, bis ich aufwachte. „ Es ist wieder passiert“, sagte er nüchtern. Ich brauchte nicht einmal zu fragen, wovon er redete, weil auf seinem Gesicht das eindeutig zu lesen war. Dies ist das zweite Mal, dass sein Handy gestohlen wurde. Also nahm ich mein Handy und wählte Bens Nummer um sicherzustellen, dass es sich nicht in einer Zimmerecke versteckte. „Fehler bei der Verbindung“ schien auf dem Handy auf. Ich wählte wieder und es begann auf meinem Handy zu klingeln und auch der Klingelton von Bens Handy war schwach hörbar. Ich winkte Ben zu, ruhig zu bleiben, weil er so gespannt war, dass er am ganzen Leib zitterte. Wir bewegten uns schweigend in Richtung des Klingeltons. Unter dem Kopfkissen von John kam das Klingeln heraus. „Also John ist es gewesen, der immer die Handys stahl“, flüsterte Ben mir zu. Wir weckten ihn auf, aber es war nicht John. Keiner von uns hatte je zuvor den Kerl gesehen, der im Bett von John schlief. Es war ein Eindringling und das Klingeln kam aus der Tasche, die er als Kopfkissen verwendet hatte. Er wachte auf, warf uns einen seltsamen Blick zu. Wir öffneten die Tasche und fanden nicht nur das Handy von Ben, sondern auch drei andere. „Also, Du bist der Dieb, der immer unsere Handys gestohlen hatte“, schrie Ben ihn an. Bevor er ein Wort sagen konnte, kassierte er eine betäubende Ohrfeige von Ben und im gleichen Augenblick stürmte Ben hinaus. Ich fragte ihn, „ nun sag es mir, was hast Du mit dem Handy von Ben zu tun?“ Er blickte mich an, ohne ein Wort zu sagen. Daraufhin kassierte er auch von mir eine Ohrfeige. „Antworte mir!“, brüllte ich ihn an. Er weinte jetzt. „Warum bist du in unserem Zimmer?“ frage ich ihn jetzt. „Kannst du nicht reden?“ Er schüttelte den Kopf. Ich war jetzt verwirrt. Warum schüttelt er nur den Kopf? „Warte mal; kann es sein, dass dieser Bursche eine Behinderung hat?“, fragte ich den Anderen. Es traf mich dann. Der Kerl ist stumm, aber nicht taub. Mein Ärger verwandelt sich sofort im Mitleid. „Kannst du lesen und schreiben?“ Er nickte wieder. Ich schrieb in ein Notizheft. Francis Abanobi Seminarist


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