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15 als Überzeugungen nicht einfach durchgesetzt, also für alle verbindlich geltend gemacht werden können, sondern der freien Zustimmung bedürfen oder auch Ablehnung erfahren können. Damit sind Ansprüche an alle Glaubensgemeinschaften formuliert: was innerhalb einer Überzeugungsgemeinschaft als verbindlich und die Identität sichernd gilt, muss zwar nicht auf die Privatheit oder die Teilöffentlichkeit der Gemeinschaft beschränkt bleiben, es darf aber nicht erwartet werden, dass die eigenen, partikularen Überzeugungen in der breiten Öffentlichkeit auf ungeteilte Zustimmung stoßen werden. Katholische Kirche und Theologie haben sich im Zweiten Vatikanischen Konzil auf diese veränderten Umstände einzustellen begonnen. Im Dokument Dignitatis humanae hat man der Religionsfreiheit Priorität eingeräumt und dies auch theologisch zu begründen gewusst. Nostra aetate hat den Wert der anderen Weltreligionen begründend affirmiert – und damit andere Religionsgemeinschaften als Mitakteure in zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeiten begrüßt. Ermöglicht wurde dies durch die richtungsweisende Neubestimmung von Kirche in ihrem In-der-Welt-Sein (Gaudium et spes). Religion ist Privatsache, wenn damit bekundet wird, dass Freiheit für und von Religion gelten soll, wenn also weder Staat noch Religionsgemeinschaft über das religiöse Freiheitsrecht von Bürgerinnen und Bürgern verfügen dürfen. Religion ist keine Privatsache, wenn Bürgerinnen und Bürger (auch als Mitglieder einer Religionsgemeinschaft) sich an öffentlichen Meinungsbildungsprozessen beteiligen und dabei ihre Überzeugungen öffentlich einbringen können, ja sollen. Der jüngst öfters formulierte Wunsch, zur „Rettung des Abendlands“ sei ein bestimmtes Verständnis des christlichen Glaubens neu zu beleben, wird zivilgesellschaftlich verhandelt werden: Christinnen und Christen werden mit Unterstützung von Kirchenleitung und Theologie nicht umhin kommen, ihren Glauben neu zu bedenken und für die darin wurzelnden Überzeugungen auch öffentlich einzustehen.


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