Page 16

bruecke_06_2016

14 Ist Religion Privatsache? Die Frontstellung, welche sich aus dieser Frage ergibt, fördert Folgendes zutage: die Frage nach der Privatheit von Religion betrifft alle und hat als solche bereits einen öffentlichen Charakter; denn was als öffentlich und was als privat gelten soll – in diesem Fall, welchem Bereich die Religion zugerechnet wird –, muss öffentlich geklärt werden. Das bedeutet, dass etwaige Antworten auf die Frage nach der Privatheit religiöser Überzeugungen selbst öffentlich sein müssen, also in der Öffentlichkeit (die sich immer in Öffentlichkeiten konkretisiert) durch Argumente zu rechtfertigen sind. Eine Übereinstimmung dieser Argumente ist eher unwahrscheinlich, aber auch nicht nötig – zumindest dann nicht, wenn die vorhandenen gesetzlichen Regelungen als ausreichend empfunden werden. Die Religionsfreiheit (verankert im österr. Staatsgrundgesetz von 1867, Art. 14) räumt jeder und jedem Glaubens- und Gewissensfreiheit ein und ermöglicht gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften die „gemeinsame öffentliche Religionsausübung“. Diese gesetzliche Regelung, die teils novelliert und durch den Beitritt Österreichs zur Menschrechtskonvention und zur EU internationalisiert wurde, bildet jedoch eine gesellschaftliche Wirklichkeit ab, die sich innerhalb der letzten Jahrzehnte stark verändert hat und die häufig mit dem vieldeutigen Begriff der Säkularisierung beschrieben wird. Folglich haben unterschiedliche zivilgesellschaftliche Gruppierungen in letzten Jahren auf diese Verschiebungen aufmerksam gemacht und sich gegen die geschichtlich gewachsene, bevorzugte Behandlung der römisch-katholischen Kirche (als Mehrheitsreligion) durch den Staat ausgesprochen. Der Pluralisierung der religiösen Landschaft, welche die Option, keine formale Religion zu haben, einschließt, sei deutlicher Rechnung zu tragen. Allerdings spricht dies nicht für den Ausschluss von Religionen und Religionsgemeinschaften aus der Öffentlichkeit, sondern eher für deren Einschluss, zumal die zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit – in ihrem spannungsvollen Verhältnis zum Staat – ein Interesse daran hat, im Vorfeld parlamentarischer (also auch rechtsgebender) Entscheidungen eine Meinungsbildung zu fördern, die nicht bloß zweckrationalen Argumenten Genüge tun. Dafür bleiben weltanschauliche – und damit auch explizit religiöse – Überlegungen wichtig. Öffentlichkeit ist gerade mit Blick auf ihre unverzichtbare Funktion im Rahmen einer demokratischen Staatsordnung ein anspruchsvolles Konzept, das unterlaufen wird, wenn in ihr weltanschauliche Überzeugungen (hier: explizit religiöse) nicht zur Sprache kommen dürfen. Das Konzept von Öffentlichkeit ist allerdings auch dahingehend anspruchsvoll, Andreas Telser Ass.-Professor an der KU Linz


bruecke_06_2016
To see the actual publication please follow the link above