Page 8 - Unsere Brücke November 2020
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sind aus demselben Baustoff, quasi aus demselben Holz geschnitzt. Der harmonischen Beziehung steht also nichts im Wege.
Das zweite Bild des Triptychons, eine Erzählung, die später eigentlich fälschlicherweise als „Sündenfall“ bezeichnet wurde, beschreibt, dass und wieso die Welt trotzdem nicht immer so paradiesisch ist. Das Problem ist, dass der Mensch eine Neigung hat, mehr haben zu wollen: er möchte mehr sein – sein wie Gott, und er möchte mehr wissen, mehr unter- scheiden, mehr differenzieren können, die Erkenntnis von Gut und Böse besitzen. Durch diese Erkenntnis, durch die Gabe zu unterscheiden, ist die Welt für ihn nicht „paradie- sisch“, sondern ambivalent. Er differenziert: Gut und Böse, das Eigene und das Fremde, das Schöne und das Unschöne. Dadurch wird die Beziehung zu Gott ambivalent, die Be- ziehung zum Mitmenschen schwieriger und die Beziehung zur Natur kompliziert. Der Mensch muss selbstständig und unter größeren Mühen sein Leben leben.
Die eigentliche „Sünde“ des Menschen folgt aber erst im dritten Bild des Tryptichons: Dort wird aus Differenz Konkurrenz und Gewalt. Kain erlebt sich als von Gott anders behandelt als Abel und fühlt sich zurückgesetzt. Es entsteht Neid, Hass und schließlich Gewalt. Kain weiß, dass das nicht gut, sondern böse ist, aber er tötet seinen Bruder Abel trotzdem.
Und wenn zu viele sind wie Kain, ist die Welt nicht mehr gut, sondern „böse“, wie es zu Beginn der Sintfluterzählung (Gen 6,5) heißt. Die Gewalt des Menschen ist es, die zur Sintflut führt, durch sie droht das geordnete Lebenshaus wieder zum Chaos zu werden.
Die Bibel erzählt demnach drei grundsätzliche Optionen, wie das Verhältnis Gott-Mensch- Welt sein kann. 1) In manchen Momenten ist es so, wie Gott es eigentlich gewollt hat: Gott und Mensch, Mensch und Mitmensch, und Mensch und Welt in „paradiesischer“ Harmo- nie. Dann geht es allen gut. 2) Oft ist es aber anders: Der Mensch strebt und sucht und er- lebt seine Andersheit. Die Beziehungen zu Gott, Mitmensch und Natur werden brüchiger, und darunter leiden alle Beteiligten. 3) Und manchmal ist die Beziehung so gut wie zer- brochen: Der Mensch fühlt sich von Gott ungerecht behandelt, wird gewalttätig und erlebt Gott und Welt gegen sich. Alles droht in Chaos zu versinken, die Welt „geht unter“.
Beinahe. Denn die gute Nachricht ist: Gott verlässt auch in diesen Situationen den Men- schen nicht. Sogar im allerschlimmsten Fall, wenn Gott seine Schöpfung fast bereut: Wenn es nur einen Gerechten gibt, der so lebt, wie Gott es sich gedacht hat, gibt Gott die Welt nicht auf, fängt noch einmal neu an und erneuert seinen Segen für die Menschheit und die Welt.
Ob es der Welt gut geht, hängt also vor allem auch vom Menschen ab. Nur wenn der Mensch mit Gott in guter Beziehung lebt, dann wahrt er auch dessen gute Ordnung, und nur dann blüht das Land auf, nur dann geht es der Welt gut. Diese enge Verflochtenheit zwischen Gott, Mensch und Welt gilt es zu erkennen. Zum Wohle aller.
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