Page 5 - Unsere Brücke November 2020
P. 5

Gott verherrlicht seine Schöpfung, damit sie ihn verherrliche.
Predigt am 7. Sonntag der Osterzeit (Lj. A) – gehalten am 24. Mai 2020 im Priesterseminar Linz – Evangelienstelle: Joh 17,1–11a
Wenn man etwas ganz Schönes erlebt hat (einen Ausflug, ein Naturer- lebnis, ein Konzert), und wenn man davon erzählen möchte, dann findet man oft keinen besseren Ausdruck dafür als: „es war herrlich!“.
In der Bibel ist oft die Rede von der Herrlichkeit Gottes. Im Urtext steht dafür das griechische Wort „doxa“. Das bedeutet: Ehre Gottes, sein Ansehn, sein Reichtum und seine Pracht, die Wucht seiner gött- lichen Erscheinung, seine Majestät und Lichtherrlichkeit.
Wir Menschen können die Herrlichkeit Gottes nicht schauen, aber wir können sie erahnen durch die Herrlichkeit der Schöpfung. Man könn- te sagen: Die Pflanzen, Blumen und Tiere, Erde und Wasser verherrli- chen Gott. Ganz von selbst geben sie Gott die Ehre – durch ihr Dasein, durch ihre Farbenpracht, durch ihr Leuchten, durch ihre „Stimmen“, durch ihren Duft. Sie können gar nicht anders als Gott verherrlichen, weil sie sich ganz und gar so verhalten, wie sie vom Schöpfer gedacht sind. Bevor aber die Schöpfung Gott verherrlichen kann, wird sie sel- ber von ihm verherrlicht. Gott gibt seine Herrlichkeit in die Schöp- fung hinein, seine unermessliche Weisheit, seine unerschöpfliche Phantasie, seine Liebe zum Detail und zugleich seine verschwende- rische Großzügigkeit und Weite, seine Verspieltheit und seine Konse- quenz, seine Zartheit und seine Kraft.
Das Wort „verherrlichen“, das v.a. der Evangelist Johannes verwendet, ist ein Schlüsselwort für das Geheimnis der Schöpfung, ein Schlüs- selwort, das den Menschen ganz besonders betrifft. Gott verströmt seine Herrlichkeit (sich selbst) in die Schöpfung hinein, vor allem
in den Menschen, der ja die Krone der Schöpfung ist. Gott will sich allerdings nicht ins Leere verschenken. Er erwartet vom Menschen, ein Echo, ein Rückbewegung, eine Antwort.
Dem Menschen sind Möglichkeiten zur Verherrlichung Gottes gege- ben, wie sie kein anderes Geschöpf nur annähernd hat. Beim Men- schen kommt nämlich etwas hinzu, das ihn von allen übrigen Ge- schöpfen abhebt: die Steine, die Pflanzen und Tiere wissen gar nicht, wer sie sind und was sie tun. Der Mensch hingegen hat ein Ich-Be- wußtsein. Er kann Gott wissentlich und freiwillig die Ehre geben und zwar in allem, was er in Gottes Namen tut. Der Mensch ist fähig zur Liebe. Es muss gar nicht ein gotischer Dom sein, der zur Ehre Gottes erbaut wird, oder eine feierliche Mozartmesse zu seiner Ehre kompo- niert. In allem, was ein Mensch aus Liebe tut (aus Liebe zum Nächs- ten oder/und aus Liebe zu Gott), verherrlicht er Gott.
Mag. Johann Karner
Spiritual
 3
























































































   3   4   5   6   7