Page 16 - Unsere Brücke November 2020
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  Mag.a Lucia Göbesberger Leiterin der Abteilung Gesellschaft und Theologie und Umweltreferentin der Diözese Linz
Schöpfungszeit – ein Angebot zu gelassener Aufmerksamkeit
Wir stehen vor einer großen Herausforderung: Es ist hoch an der Zeit, die ökosoziale Krise zu bewältigen. Um die Umweltkrise zu lösen, braucht es technische Veränderungen, politische Weichenstellungen und einen Kulturwandel. Grundlage und Motivation für diesen Wandel kann, so Papst Franziskus, eine „Mystik“, die beseelt, sein. Weltzugewandte und Körper-bejahende spirituelle christliche Traditionen können hier weg- weisend sein. (Vgl. LS 216).
Papst Franziskus spricht nicht nur vom Wandel, sondern von einer ökologischen Umkehr. Damit ist gemeint, die menschliche Aufgabe, wie sie in den Schöpfungsberichten beschrieben wird, wieder auftragsgemäß wahrzunehmen. Dabei handelt es sich nicht um etwas frei Wählbares, sondern um eine zentrale christliche Aufgabe, nicht nur um einen Nebenschauplatz. Dazu gehört, einerseits die eigene Beziehung zur Schöpfung in den Blick zu nehmen. Also sich die Frage zu stellen, welche Auswirkungen unser Tun und unser Unterlassen auf die Welt, die gesamte Schöpfung hat. Das ist eine Herausforderung für jede und jeden Einzelnen von uns. Zur Lösung des Problems braucht es aber ande- rerseits genauso das Miteinander.
Beides, den eigenen Lebensstil zu ändern, sowie sich für die Transforma- tion in zivilgesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Kontex- ten einzusetzen, braucht einen langen Atem. Um die Motivation nicht zu verlieren und zu resignieren, hilft ein Grundverständnis, das auf unseren christlichen Quellen basiert.
Verschiedene Traditionen und insbesondere die Bibelstellen, die sich mit der Schöpfung beschäftigen, sind ein guter Wegweiser. Derzeit gilt der Leitsatz, jedeR ist des eigenen Glückes SchmiedIn, und die Doktrin des Immer-Mehr. Die Schöpfungstexte führen wieder hin, das eigene Selbstverständnis und Weltbild lebens-freundlich auszurichten. Beispielsweise wird im ersten Schöpfungsbericht immer wieder davon gesprochen, dass alles Geschaffene gut, ja sehr gut ist, nicht nur die Men- schen. Alles ist Gottes Werk! Das heißt auch, dass die Erde als Lebens- raum für ausnahmslos alle Geschöpfe vorgesehen ist. Herausfordernd für uns Menschen ist, dass wir über besonders weltverändernde Gestal- tungskraft verfügen, aber damit auch besondere Verantwortung haben. Die Versuchung dabei ist, sich getrennt von der Natur zu verstehen als unabhängig und allmächtig. Genährt wird diese Vorstellung durch die vielen Innovationen, die uns das Leben erleichtern, die aber ebenso dazu führen bzw. führen können, dass wir den Bezug zu unserer Lebensgrund- lage verlieren und uns als Krone der Schöpfung sehen. Gerade so als würde der erste Schöpfungsbericht nicht auf den siebten Tag hin laufen, auf die Königin Sabbat, sondern am sechsten Tag enden. Der Lebenssinn, der Sinn unseres Tuns ergibt sich aus dem siebten Tag, dem Tag an dem Menschen wie Nutztiere ruhten. Es geht – wird in dieser Textpassage wieder deutlich – nicht nur um uns Menschen oder zugespitzt, um mich
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