Page 13 - Unsere Brücke November 2020
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Retter dem Menschen und allem Leben und Sein Ordnung gab. Im Ursprung bannte Gott das Chaos aus Urflut und Finsternis, schied das Sein vom Nichts und baute eine Welt, auf der zu leben war – so er- zählt die Schrift in dichten Bildern im Buch Genesis. Sogar im heuti- gen naturwissenschaftlichen Zeitalter entlockt der Anblick unserer Erde selbst Agnostikern ein Staunen: „Die kosmische Oase, die Erde, auf der der Mensch lebt, dieses Wunder der Ausnahme, der blaue Eigenplanet inmitten der enttäuschenden Himmelswüste mit narbi- gen Kratern und stickigen Gluthöllen – inmitten dieser lebensfeindli- chen Welt ist die Erde nicht mehr auch ein Stern, sondern der einzige Stern, der diesen Namen zu verdienen scheint.“(Hans Blumenberg)
Aber dennoch trennen uns inzwischen von jenen Zeiten, als die bibli- sche Schöpfungstheologie entstand, nicht nur historisch, sondern auch weltanschaulich Welten. Damals orientierten diese Texte den Menschen über seine Stellung im Kosmos. Sie waren Wissen und Glauben zugleich. Heute sind sie nur noch Texte des Glaubens, nicht mehr des Weltwissens. Nur durch neues Lernen, durch neue Wege der Verbindung von Glauben und Wissen kann die Fremdheit des Schöpfungsglaubens bewältigt werden. Was heißt das? Wir müssen unterscheiden lernen: Zwischen einem profanen Weltwissen, das wir aus der Beobachterperspektive gewinnen, und einem Heilswissen, das wir nur aus der Teilnehmerperspektive gewinnen. Dann ist „Schöpfung“ keine Formel für Welterklärung mehr, sondern für Sinn- Erfahrung, für Beheimatung und Verantwortung, für Gabe und Auf- gabe. Das Weltwissen kann die Frage nach dem Sinn des Universums nicht beantworten, wohl aber versuchen die Religionen darauf eine Antwort. Sie ist kein Gottesbeweis, aber doch ein Hinweis, dass der Mensch fähig ist, eine Resonanz zu hören und zu spüren, die auf eine Wirklichkeit zeigt, die alles übersteigt und allem zugrunde liegt: „Überall ist er und nirgends, Höhen, Tiefen, sie sind sein...“ (D. Zils)
Der Mensch muss nun in seiner Frage nach dem Sinn des Ganzen wählen, ob für ihn die entzauberte Natur der letzte Horizont von allem ist, oder doch eine Transzendenz, die ihn durch Natur und Geschichte hindurch in seiner Tiefe der Person anspricht. Wer sich auf diese Perspektive einlässt, muss rechnen, als rückständig betrach- tet zu werden. Aber er darf auch damit rechnen, dass er durch die Natur hindurch, die „Säume seines Gewandes“ (Jesaja 6,1) erblickt.
Wenn ich mit meinem Teleskop in die Tiefe des Alls blicke, dann erfahre ich beide Dimensionen, das Schaudern und das Staunen, das Wissen – und den Glauben.
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