Page 8 - unsere brücke
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Um die Tiefe des in Joh 15,13-16 Gesagten besser einschätzen zu können, ist ein Blick auf die antiken Auffassung von Freundschaft hilfreich, galt sie doch damals als die edelste Weise personaler Ver- bundenheit. Thomas von Aquin wählte diesen Blickwinkel, um das Besondere der treuen, wechselseitigen Liebe zwischen Gott und Mensch, der caritas, zu umschreiben (Sth II II q23). Nach der klassi- schen Definition besteht Freundschaft im beiderseitigen „Wohl-Wol- len“ (benevolentia), so dass jeder das Gut des Freundes entschieden bejaht und nach Kräften unterstützt. Freundschaft setzt voraus, dass die Personen etwas gemeinsam haben (communicatio) und lebendi- gen Austausch pflegen (conversatio). Gerade diese Kriterien lassen eine Freundschaft zwischen den Göttern (oder der Gottheit) und Menschen unmöglich erscheinen (Aristoteles): Es gibt hier keine echte Gemeinschaft, geschweige denn ein wechselseitiges „Wohl- Wollen mit herzlicher Zuneigung“ und Umgang.
Wenn wir als Christen wagen, von Freundschaft mit Gott zu sprechen, worin liegt die „Gemeinschaft“? Selbstverständlich kann
es „zwischen“ Gott und seinem Geschöpf kein Drittes geben, das sie gemeinsam hätten. Sie gründet vielmehr in dem, was Gott mit uns teilen will, damit wir es besitzen. Thomas nennt dies: „die Seligkeit“ (beatitudo). Man könnte auch sagen: das ewige Leben, als Leben in Fülle und Heiligkeit, wie es Gott zueigen ist. Diese Gemeinschaft mit Gott beginnt, senfkorn-gleich, bereits auf Erden: Glaube, Hoffnung und Liebe sind der Beginn dieses Lebens, der Anfang der Freund- schaft.
Das bedeutet zunächst einen Primat der Gnade. Die Beziehung geht auf Seine Initiative zurück: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“. Seine Liebe ist die Gabe, die bewirkt, dass wir dieser Liebe antworten können. Während wir einen Menschen für gewöhnlich lieben, weil er gut ist, liebt Gott liebt uns, damit wir gut seien. Seine Liebe ist nicht einfache Bejahung, sondern schaffendes, heiligendes Wirken; und Freund-Sein bedeutet, sich auf dieses Han- deln einzulassen. Das zeigt sich gerade bei besonderen Berufungen: die „electio“ durch Christus überragt das eigene Wünschen und Wol- len, selbst unsere besten Neigungen. Darum hat eine solche Berufung, die in der Freiheit des Rufenden gründet und sich an die Freiheit des Berufenen wendet, nicht selten eine gewisse Furcht oder Abwehr als Begleiterscheinung.
Dass Er unser Heil und Wohl von ganzem Herzen will, ist Inhalt unse- res Glaubens und unserer Hoffnung. Aber können wir Ihm „wohl- wollen“? In einem gewissen Sinn tatsächlich: Denn darüber glücklich zu sein, dass Er so ist wie Er ist, bedeutet, sein Gut-sein zu bejahen. Die Freude schafft sich Ausdruck im Lob, mit dem man zugleich auch andere für den Freund gewinnen und begeistern möchte.





























































































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