Page 21 - unsere brücke
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gar ersetzt werden darf. Deshalb kann allein das Ge- wissen der höchste Souverän im Leben sein: „Erst das Gewissen und dann der Papst (oder der König)“, lautet sein berühmter Spruch. Im Anspruch meines Gewissens werde auch ich aus mir selbst herausge- rufen und begegne dem Echo der Stimme Gottes. Daher haben alle Menschen das Recht, in der Religion für sich zu sprechen und ihre Erfahrungen einzubrin- gen. Ohne freie und personale Glaubenszustimmung wird es in Zukunft keinen Glauben mehr geben. Personen zu stärken und zu begleiten, ist daher die Aufgabe allen kirchlichen Dienstes.
Als Katholik findet er im Priesterideal des Oratoriums
nach Philip Neri eine kongeniale Lebensform. Eine
Gemeinschaft von Freunden, in der jeder durch die
Qualität der Beziehung für die gesamte Gemeinschaft
verantwortlich ist, kultiviert ein Ideal von Kirche in
Freiheit und Anerkennung. Dass diese Gemeinschaft
in einem armen Viertel von Birmingham, einer rasch
wachsenden Industriestadt, wohnt, war bald Grund
der Trennung der Gruppe um Faber. Diese schließt sich der Kirchenpolitik Mannings an, der faktisch zum klaren Gegner Newmans wird und weswegen Newmans später schreiben wird, dass er kein Vertrauen mehr zu kirchlichen Autoritäten haben wird. Manning setzt sich ohne Rücksicht auf Verluste für die Unfehlbarkeit des Papstes ein. Newman hat das Agieren dieser Gruppe als Tyrannei kritisiert. Denn die Autorität des Papstes (und damit aller Verkündigung der Kirche) beruht nach innen auf der apostolischen Autorität der Kirche und sowohl nach innen wie nach außen auf der unbedingten Anerkennung des Gewissens und damit der Freiheit jedes Menschen. Deshalb können nicht nur Priester, sondern auch alle Glaubenden allein durch ein Zeugnis überzeugen, das Heiligkeit, Bildung und eine „Kultur des Gentleman“ miteinander verbindet.
Als Minderheit, in einer von Vorurteilen und Ablehnung geprägten Gesellschaft kann eine Kirche, die in ihren Reihen Sünde und Schwächen natürlich nicht vermeiden kann, nur durch die Glaubwürdigkeit der Personen überzeugen. Auch für den katholischen Kardinal bleibt die Erfahrung des evangelikalen Christen gültig: Hinter Struktur, vergangener Größe oder gar Privilegien kann sich heute niemand mehr verstecken. Nicht das Amt trägt die Person oder ersetzt sie gar, sondern allein die Person gibt dem Amt Glaubwürdigkeit. Auch ein Papst genießt nur jene Anerkennung, die er sich als Zeuge des Evangeliums und als wirklich guter Hirte erwerben kann. Denn welche Macht hätte wohl ein Papst, wenn ihm niemand zuhört? Und spräche er nicht in Achtung und eindringlicher Ehrfurcht zum Gewissen, würde er jenen Boden zerstören, auf dem seine Autorität heute allein beruhen kann.
Literaturhinweis: Leben als Ringen um die Wahrheit. Hrsg. von Günter Biemer und John D. Holmes. Neu herausgegeben von Roman A. Siebenrock. Ostfildern: Grünewald-Verlag 2019. ISBN: 978-3-7867-3205-1.
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