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  Jakob Stichlberger Seminarist
„Für einen treuen Freund gibt es keinen Gegenwert“ – Freundschaft im Alten Testament
Abgesehen von den jüngeren Teilen des Alten Testaments, welche schon in hellenistischem Einfluss entstanden sind, kommt Freund- schaft als explizites Thema im Alten Testament sehr spärlich vor. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass es ein entsprechen- des Wort im Hebräischen gar nicht gibt und die Beschäftigung mit dem Phänomen Freundschaft an sich erst durch den Einfluss der griechischen Kultur auf die jüdische einsetzte.
Von Freundschaft mit Gott ist im Alten Testament kaum die Rede. Nur wenigen, wie Abraham oder Mose wird etwa zugebilligt, Freunde Gottes zu sein. Von Mose heißt es in Ex 33,11, Gott und Mose „redeten von Angesicht zu Angesicht, wie man mit einem Freund spricht“. Was bei Mose noch ein fast unerreichbares Privileg scheint (und in den fünf Büchern Mose sicher auch ist), ist für uns Christen zu einer Zusage geworden, die jedem gilt, wenn Christus zu seinen Jüngern sagt, „ich aber habe Euch Freunde genannt“
(Joh 15,15).
Ausführlicher wird hingegen die zwischenmenschliche Freundschaft beleuchtet, insbesondere bei Jesus Sirach, welcher immer wieder auf die Freundschaft zu sprechen kommt und sie unter verschiedenen Aspekten reflektiert. Besonders in Sir 6,5-17 finden wir eine ausführ- liche und sehr realistische Abhandlung zur „Freundschaft“, derzu- folge man nur sehr wenige als seine Freunde bezeichnen sollte. Die Quintessenz des Textes ist, dass sich in Zeiten der Not zeigt, wer ein wahrer Freund ist. Deshalb rät Sirach auch, einen Freund „durch Erprobung zu gewinnen“ und ihm nicht zu schnell zu vertrauen. Ähnlich argumentiert auch Spr 17,7: „Der Freund erweist zu jeder Zeit seine Liebe, als Bruder für die Not ist er geboren.“ Liest man das, so könnte man den Eindruck gewinnen, man habe viele Menschen, die sich gerne mit einem abgeben, solange man genügend Geld hat, gesund ist, ein heiteres Leben führt und sich der „süßen Rede“ be- dient. Sobald man auf welche Weise auch immer arm wird und der Hilfe bedarf, bleiben ein paar übrig, welche dann als Freunde zu be- zeichnen sind.
Mir scheint trotz dieser eher pessimistischen Darstellung, dass hier ein zentraler Aspekt von Freundschaft angesprochen ist. Wie wohl- tuend ist es doch für uns, wenn wir in einer schwierigen Situation der Ratlosigkeit, des Schmerzes, des Versagens, der Enttäuschung spüren, dass uns ein Freund zur Seite steht, an den wir uns anlehnen können, bei dem wir uns ausheulen können, bei dem wir so sein dür- fen, wie wir sind. Gewiss hat Sirach hier auch recht, dass es in einer solchen Situation wenige sind, auf die wir uns wirklich verlassen können.
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