Page 15 - Brücke 11 2018
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 Veränderungen in der Lebens- und Erfahrungswelt von Jugendlichen
In vielen Lebensbereichen machen Jugendliche heute völlig andere Erfahrungen als noch deren Eltern in jungen Jahren. Anforderungen
in Ausbildung und Beruf wachsen ständig und setzen sie unter Druck. Als „Digital Natives“, also Menschen, die mit digitalen Medien aufge- wachsen sind und sich ein Leben ohne Handy und Internet gar nicht mehr vorstellen können, sind sie „always on“, was auch digitalen Stress bedeutet. Sie erleben, dass „sich alles verändert“ und haben immer weniger fixe Orientierungspunkte, um ihre Lebensplanung in die Hand zu nehmen. Das Beispiel Arbeitswelt zeigt eindrücklich, dass sich der sozialstaatliche Ordnungsrahmen junger Menschen in Relation zu dem ihrer Vorgängergenerationen dramatisch verändert hat, es also naiv wäre zu denken, sie müssten sich halt nur mehr anstrengen: Die Zahl von Arbeitsplätzen mit geringer Einkommenssicherheit ist gegenwärtig gestiegen. Atypische Beschäftigungsverhältnisse (z. B. Zeit- oder Leihar- beit, befristete oder projektbasierte freie Beschäftigungen oder Praktika) haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Für immer mehr v. a. junge Menschen ist ein „Normalarbeitsverhältnis“ − also eine unbefri- stete Vollzeit-Festanstellung mit einer Bezahlung inklusive sozialrecht- licher Absicherung, von der sie leben können −, keine selbstverständ- liche Perspektive mehr. Lebenswege lassen sich daher immer seltener verlässlich planen. Diese Entwicklung trifft heute auch die Gut- und Hochqualifizierten. Das heißt, Jugendliche erwarten nicht − wie etwa noch die zwischen 1955 und 1970 geborenen sogenannten „Babyboo- mer“ −, dass es ihnen besser als ihren Eltern gehen wird, sie müssen sich auf weniger einstellen.
Eine gern gewählte Bewältigungsstrategie ist, nicht viel über all das nachzudenken, keine langfristigen Pläne zu schmieden und irgendwie am Ball zu bleiben. Dieser Generation sind weltanschauliche Graben- kämpfe eher fremd, sie hält sich vielmehr die Optionen offen und versucht flexibel zu sein, also: zugreifen, wenn sich Chan- cen bieten, und „Augen zu und durch“, wenn es nicht klappt. Vieles dreht sich für sie um die kleine Welt des Privaten. Fa- milie, Freunde und Freizeit liegen für die breite Mehrheit im Ranking der persönlich wichtigsten Lebensbereiche ganz oben, ästhetische oder politische Rebellion sind keine großen Themen mehr.
em. Univ.­Prof.in Dr.in Ilse Kögler
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