Page 4 - Brücke 11 2017
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 Mag. Michael Münzner Subregens
Priesterausbildung -
ein „Weg der Umwandlung“
Im Propädeutikum beginnen wir den Tag um 6.45 Uhr mit einem Morgengebet. Es umfasst zunächst eine persönliche, stille Medita- tionszeit und im Anschluss die gemeinsam gebetete Laudes (Morgen- lob). Wir kommen dazu im Meditationsraum im 3. Stock des Priester- seminars zusammen. Unser Blick ist dabei auf eine Christusikone gerichtet, die Christus als den Pantokrator, den Weltenherrscher zeigt (siehe Titelbild). Das Original be ndet sich im Katharinenkloster am Sinai und stammt aus dem 6. Jahrhundert. Christus ist dargestellt im Porträt. Sein Kopf ist umfangen von einem großen, goldenen Hei- ligenschein mit eingeschriebenem Kreuz. In der linken Hand hält
er ein Evangeliar, seine rechte Hand hat er zu einem Segensgestus geformt. Christus ist das  eischgewordene Wort Gottes, der uns seine Nähe und Kraft zusagt und schenkt.
Mich persönlich sprechen bei der Betrachtung dieser Ikone immer wieder die Augen und der Blick Jesu an. Viele Nuancen hat sein Blick für mich: Er ist hoheitsvoll, ernst, klar, auffordernd, einla- dend, entschieden, gütig, freundlich, traurig,... Immer wieder fallen mir neue Aspekte am Blick Christi auf, die mich an Begebenheiten, Worte, Handlungen Jesu erinnern, wie sie in den Evangelien über- liefert sind.
Die Betrachtung einer Ikone ist gleichsam ein Fenster, das den Betrachter in die Wirklichkeit des Reiches Gottes blicken lässt. Das Betrachten der Botschaft Jesu, das Schauen auf sein Leben und Wirken, das Mitvollziehen seines Weges der Hingabe, des Todes aber auch der Auferstehung prägen und formen dabei den Betenden. Im 2. Korintherbrief sagt der Apostel Paulus, dass wir als Getaufte durch den Geist des Herrn zu einem Bild Christi verwandelt werden. (vgl.
2 Kor 3,18) Wer sich im Gebet ein Bild von Christus verschafft, wer sich Christus im wahrsten Sinne des Wortes ein-bildet, wer sich von ihm prägen und formen lässt, wird allmählich diesem Bild, Christus, ähnlich.
Ein Priesterseminar ist dem Wortsinn (>lat. „seminarium“) nach eine P anzschule, P anzstätte, ein Wachstumsort für jene, die sich auf den Priesterberuf vorbereiten. Wer Priester werden und sein will, muss bereit sein, sich ganz in den Dienst am Volk Gottes zu stellen. Er muss mit seinem Leben jene Hingabe an die Menschen bezeugen und sichtbar machen, die Jesus vorgelebt hat. In der im Jahr 2016 veröffentlichten neuen „Ratio Fundamentalis Institutionis Sacerdo- talis“ (RFIS), der weltweiten Rahmenordnung für die Priesteraus- bildung heißt es: „Der Priester ist gerufen, in sich die Gesinnung und die Haltung Christi der Kirche gegenüber anzunehmen.“ (RFIS, 39) Deshalb haben besonders die Priester auch den Auftrag, sich bestän-
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