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5 Was zählt? Jesus gibt klare Antworten auf diese Fragen und ich möchte berichten, wie ich in den letzten Wochen versucht habe, den Antworten ein wenig gerechter zu werden. Dem Hungernden Nahrung zu geben, dem Durstigen zu trinken, dem Nackten Kleidung usw. lehrt uns Jesus in seiner Rede vom Weltgericht. Die Gelegenheit dazu bietet sich uns oft. Seit ich Anfang Oktober mein Studium begonnen habe, begegne ich auf dem Weg vom Priesterseminar durch die Innsbrucker Altstadt zur Fakultät jeden Tag solchen Menschen. Dann beginne ich zu überlegen: „Unterstütze ich mit meiner Spende womöglich organisierte Banden, die dahinter stehen? Ist es die Verpflichtung eines Studenten diese Menschen finanziell zu unterstützen?“ Und während mir die Fragen durch den Kopf gehen, ist die Möglichkeit die dringende Mahnung, Jesu umzusetzen, schon wieder 50 Meter hinter mir. In der Innsbrucker Jesuitenkirche habe ich einen guten Leitfaden der Jesuiten entdeckt, das Dilemma einmal von einer anderen Seite anzugehen. Der Kern besteht darin, den Bettler zu aller erst als Mensch wahrzunehmen, mit unantastbarer Würde ausgestattet, besonders aus christlicher Perspektive, da sich Christus in jener Rede vom Weltgericht mit diesen Hilfsbedürftigen gleichsetzt. „Das habt ihr mir (nicht) getan“ – so spricht er zu uns. Sieht man nun vor allen rationalen Gedanken einmal mit diesem Blick auf den Bettler, so ist das Mitleid nicht gleich durch solche Gedanken vernebelt. Gleichwohl ist auch nun die Lösung nicht eine hochherzige Spende für jeden Einzelnen. In jenem Leitfaden der Jesuiten wird vor allem empfohlen das Gespräch mit diesen Armen zu suchen – und tatsächlich ergeben sich mit so manchem sehr bereichernde Gespräche über die Hintergründe der Tragödien. Auch weiß man dann ob eine Spende wirklich sinnvoll ist, oder ob man am nächsten Tag besser eine Banane mitbringt – was darüber hinaus auch mehr dem Wortsinn von „Ihr habt mir zu essen gegeben“ entspricht. Dieser kleine Ausschnitt ist keineswegs eine umfassende Umsetzung der Weltgerichtsrede, aber er hat mir geholfen, vernünftig mit einer Situation umzugehen, in der ich täglich mit der Weltgerichtsrede konfrontiert bin. Jakob Stichlberger Seminarist


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