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20 Der Ablass – Bemerkungen zu einem umstrittenen Thema Das Wort Ablass erinnert mich an meine Großmutter. Sie hat mich zum „Ablass-Beten“ in die Kirche mitgenommen und mir erklärt, was ich zu tun habe, um „einen Ablass zu gewinnen“. Einen Ablass konnte man damals bei jedem Kirchenbesuch unter folgenden Bedingungen gewinnen: Man musste gebeichtet und die Kommunion empfangen haben, dann musste man sechs Vater-unser, sechs Gegrüßet seist du Maria und sechs Ehre sei dem Vater auf die Meinung des Heiligen Vaters beten. Man konnte einen solchen Ablass für sich selbst und für die Armen Seelen im Fegefeuer gewinnen. Meine Großmutter und meine Eltern haben mir auch erklärt, dass er nicht die Vergebung der Sünden, sondern der Nachlass der Sündenstrafen sei, die noch zurückbleiben, auch wenn die Sünden vergeben sind. Der Papst könne diesen Ablass auf Grund der Verdienste Jesu und der Heiligen gewähren. Wenn für einen Verstorbenen ein Ablass gewonnen würde, brauche er nicht mehr im Fegefeuer zu bleiben, sondern komme gleich in den Himmel. Und auf meinen Einwand, dass für die verstorbenen Urgroßeltern wohl schon genug Ablässe gewonnen wurden, wurde mir erklärt, dass Gott mein Gebet einem anderen zuwenden würde, der es dringend brauche. Wenn ich das heute so erzähle, kann ich ein leises Schmunzeln nicht unterdrücken. Ich werde den Eindruck nicht los, dass dieses Ablasswesen ein - wenn auch moderater - geistlicher Ablasshandel war. Um diesen Eindruck des „Handels“ zu vermeiden, hat Papst Paul VI. bei der Neuordnung des Ablasswesens 1967 den „Toties-Quoties-Ablass“ (d.h. „Wie oft“ man eine Kirche besuchte, „so oft“ gewann man einen Ablass) abgeschafft. Ein Ablass kann unter folgenden Bedingungen gewonnen werden: Empfang des Bußsakramentes und der Kommunion und Gebet auf die Meinung des Heiligen Vaters. Es bleiben noch grundsätzliche Fragen offen: Was heißt „Sündenstrafe“? Muss Gott, wenn er die Sünden vergeben hat, sie noch bestrafen? Im positiven Sinn gibt mir zu denken, dass mir das „Ablass- Beten“ immer als eine christlich „Solidaritätsaktion“ erschienen ist: Ich kann für andere – vielleicht für jemanden, an den niemand denkt – beten und den „Erlass der Sündenstrafen“ erbitten. Um diese zwei Stichwörter dreht sich mein weiteres Nachdenken: „Sündenstrafe“ und „Solidarität“. Dazu lese ich im Katechismus der Kath. Kirche von 1993, Nr. 1472: die Sündenstrafen „dürfen nicht als eine Art Rache verstanden werden, die Gott von außen her ausüben würde, sondern als etwas, das sich aus der Natur der Sünde ergibt“. Sie sind also Folgen der Sünde, unter der der Sünder selbst oder andere Menschen leiden. Dr. Maximilian Strasser Dompfarrer


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