Page 8 - unsere brücke / Juni bis Dezember 2022
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Daraus erwächst ein grundsätzlicher Appell: Wer Priester ist oder es werden möchte, braucht dafür ein „brennendes Interesse am Alltag der Menschen“.
Für Christoph Theobald ist die Konsequenz aus einer solchen Grund- dynamik eine kritische Grundsatzfrage: „Verbleibt unsere Pastoral im kirchlichen Raum der Liturgie und im Kreis sakramentaler Handlun- gen? Lässt sie sich über diesen Ordnungsbereich hinaus in einzelne, auf dieses Zentrum hin bezogene Sektoren aufgliedern? Wo liegt ihr grundlegendes Interesse?“ (S. 191).3 Seine Antwort ist klar: Es geht um ein absichtsloses (!) Interesse an dem beliebigen (!) Menschen, der mir im jeweiligen Augenblick begegnet: „...unabhängig davon, ob diese Person nun seine Jüngerin oder sein Jünger sein wird oder nicht“
(S. 192).4
Die Identität der Priester und ihr Lebensstil wird unter dem Kairos
der Krise – hoffentlich – wieder anknüpfen am Lebensprogramm Jesu Christi. Der Sekretär der Bischofssynode in Rom Kardinal Mario Grech sagte in einem bemerkenswerten Interview zur Lage der Kirche in der Coronapandemie mit Blick auf die Zukunft:
„Wir haben eine neue Ekklesiologie, vielleicht sogar eine neue Theo- logie, und ein neues Modell des Dienstes entdeckt. Das bedeutet also, dass es an der Zeit ist, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, um auf diesem neuen Modell des Dienstes aufzubauen. Es wäre Selbstmord, wenn wir nach der Pandemie zu denselben pastoralen Modellen zurückkehren, die wir bisher praktiziert haben. Wir ver- wenden enorme Energie darauf, die säkulare Gesellschaft zu bekeh- ren, aber es ist wichtiger, uns selbst zu bekehren, um die pastorale Bekehrung zu erreichen, von der Papst Franziskus oft spricht. (...)
Das Brechen des eucharistischen Brotes und des Wortes kann nicht geschehen, ohne das Brot mit denen zu brechen, die keines haben. Das ist Diakonie. Die Armen sind theologisch gesehen das Gesicht Christi. Ohne die Armen verliert man den Kontakt zur Wirklichkeit“ (Grech & Spandaro, 2020).5 Dies gilt besonders für Priester.
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Christoph Theobald, Hören, wer ich sein kann. Einübungen, Ostfildern 2018
A. Delp, Das Schicksal der Kirchen, in: R. Bleistein (Hg.), Alfred Delp. Gesammelte Schriften. Band IV: Aus dem Gefängnis, Frankfurt am Main 1984, 318-323.
,Ders. 191.
Ders., 192.
Antonio Spandaro: Bishop Mario Grech: An interview with the new secretary of the Synod of Bishops (2020) https://www.laciviltacattolica.com/bishop-mario-grech-an-interview-with-the-new-secretary-of- the-synod-of-bishops/




















































































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