Page 7 - unsere brücke / Juni bis Dezember 2022
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seinen Jüngerinnen und Jüngern erwarten, schrieb er kurz vor seinem Tod:
„Es wird kein Mensch an die Botschaft vom Heil und vom Heiland glauben, solange wir uns nicht blutig geschunden haben im Dienst
des physisch, psychisch, sozial, wirtschaftlich, sittlich oder sonst wie kranken Menschen [...] Rückkehr in die ‚Diakonie‘ habe ich gesagt. Damit meine ich das Sich-Gesellen zum Menschen in allen seinen Situationen mit der Absicht, sie meistern zu helfen, ohne anschlie- ßend irgendwo eine Spalte oder Sparte auszufüllen. Damit meine ich das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußersten Verloren- heiten und Verstiegenheiten des Menschen, um bei ihm zu sein, genau und gerade dann, wenn ihn Verlorenheit und Verstiegenheit umge- ben.2
Wenn Priester im Angesicht des pastoralen Wandels ihr Priestersein als fruchtbar für die Menschen und gelingend für sich selbst erfahren möchten, dann braucht es vor allem eines: die lebendige Begegnung im Alltag in der aufsuchenden (!) Nähe zu den Menschen. Jesus selbst definiert diese Nähe diakonisch als Dienst an der Gemeinschaft im Stil der Fußwaschung (Joh 13).
Priestersein vollzieht sich als dienendes Beziehungsgeschehen mit Gott und den Menschen. Es wäre eine Sackgasse, das priesterliche Selbstverständnis als eine Frage von Funktionen im pastoralen Ge- schehen zu definieren, schon gar nicht als ein Bestehen auf Zuständig- keiten in exklusiven Sektoren der Pastoral oder gar auf Kommandopo- sitionen.
Die Wirklichkeitsfülle und Lebenstiefe der eigenen Berufung erschließt sich demjenigen, der sich als Priester im Alltag absichtslos hingibt, um Gemeinschaft des Lebens zu stiften und anderen Menschen im Auftrag der Kirche zu Diensten zu sein. Zum gelingenden Leben findet der Priester im Dienst des Glückes der anderen.
Im gegenwärtigen Augenblick der Begegnung mit dem Menschen, der meine Dienste braucht, werde ich frei und entdecke: Mein Leben macht ja wirklich Sinn!
Da treten die Probleme der Kirche und der Pastoral in den Hinter- grund. In den Hintergrund treten auch die unterschiedlichen Akzente in Spiritualität, Theologie, Lebensstil und Herkunft von Priestern. Entscheidend ist die alltägliche Begegnung mit den Menschen, die Priester zu ihren Nächsten machen. Die eigene Berufung entschlüsselt und entwirft sich stets neu in der beständigen Aufmerksamkeit auf die Spuren Gottes im eigenen Leben, im Leben der Anderen und im Leben der Welt.
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