Page 6 - Unsere Brücke - Ausgabe 06 2021
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   Mag. Klaus Walchshofer Koordinator für die intellektuelle und pastorale Bildung
Weniger ist mehr.
Vom überfüllten zum erfüllten Leben
„Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!“, lautet die Antwort Jesu auf die Frage eines jungen Mannes, der das ewige Leben erlangen möchte. Der junge Mann aber ging traurig weg, denn er hatte ein großes Vermögen. (Vgl. Mk 10, 17-22)
„Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen?“ (Mk 10, 23) Wie schwer ist es auch für mich, alles aus dem Weg zu räumen, was für das (ewige) Leben hinderlich ist. „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ (Martin Luther) Damit ist nicht nur materieller Besitz gemeint, aber eben auch dieser.
In den Industrienationen wird heute für breite Schichten nicht ein Mangel an Gütern, sondern deren Übermaß zu einem Problem. Aus öko- logischer Sicht leben wir schon weit über unseren Verhältnissen. Welt- weit verbrauchen wir in ca. 8 Monaten so viele Ressourcen, wie die Erde in einem Jahr regenerieren kann. Der sogenannte Welterschöpfungstag war 2020 trotz Pandemie am 22. August.1
Erschöpft werden aber nicht nur die Ressourcen der Erde, sondern auch die persönlichen Ressourcen vieler Menschen. Unsere Gesellschaft krankt nach dem Philosophen Byung-Chul Han an einer Hyperaktivität.2 Zu viel des Guten wirkt letztlich destruktiv. Auf Dauer zerstören wir so unsere eigenen Grundlagen. Haben wir es hier mit Zeichen der Zeit zu tun, die eine Änderung unseres Lebensstils fordern?
Inzwischen ist tatsächlich auch ein leichter Trend hin zu einem einfa- cheren Lebensstil zu beobachten. Ratgeber und manche Fernsehformate haben dieses Thema aufgegriffen. Dabei werden Menschen von Experten beim Entrümpeln begleitet. Von den Betroffenen fällt sichtlich nicht nur äußerer, sondern auch innerer Ballast ab.
Was mit Äußerlichkeiten beginnt, kann einen Weg nach innen weisen. Ziel ist nicht die Reduktion an sich, sondern was nach der Reduktion bleibt oder zum Vorschein kommt – der „bleibende Schatz“. Darin liegt eine Faszination: Es wird deutlicher, was es zum Leben wirklich braucht. Wenn wir freier von dem werden, was uns belastet, werden
wir auch freier für das, was uns wichtig ist und uns Freude bereitet. „Die Seele ernährt sich von dem, woran sie sich erfreut“, weiß schon der Kirchenvater Augustinus.
Auch nach Papst Franziskus entspricht es einer christlichen Spirituali- tät, wieder zur Einfachheit zurückzukehren, das Kleine zu würdigen und „dankbar zu sein für die Möglichkeiten, die das Leben bietet, ohne uns an das zu hängen, was wir haben, noch uns über das zu grämen, was wir
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