Page 4 - Unsere Brücke - Ausgabe 06 2021
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  Univ.-Prof. Dr. Michael Rosenberger Professor für Moraltheologie, KU Linz
Fürsorge für die Schöpfung
Das Hüten des Gartens als Herzmitte der christlichen Sendung
In seinen posthum veröffentlichten „Contemplations Moral and Divine“ betitelt der anglikanische Theologe Matthew Hale (1609 – 1676) ein gan- zes Kapitel „Die große Prüfung, mit der Erzählung vom guten Haushal- ter“ (Matthew Hale 1676, 409-484). Darin orientiert er sich am Gleichnis von den Talenten (Mt 25,14-30) und führt insgesamt 17 Gruppen von an- vertrauten Gaben an, unter ihnen die Schöpfungswerke und die nicht- menschlichen Geschöpfe. Bezogen auf diese schreibt Hale: „Ich habe sie als dein Eigentum respektiert... Ich empfing und nutzte deine Geschöpfe als mir treuhänderisch anvertraut wie ihr Haus- und Buchhalter. Daher war ich stets achtsam, sie in Übereinstimmung mit den Grenzen und Zie- len zu nutzen, in denen du sie mir anvertraut hast.” (ebd. 441.443) Jede Zerstörung der Schöpfung und jede Misshandlung der Geschöpfe be- trachtet Hale als einen Bruch des Bundes Gottes mit der Schöpfung, ei- nen Bruch des Vertrauens und der Gerechtigkeit (ebd. 445-446). Das Buch hat zahlreiche Auflagen erfahren, und insbesondere das hier zitier- te Kapitel wurde in vielen kleineren Schriften wiedergegeben. Es hat die Menschen offenbar sehr berührt.
In der kontinentaleuropäischen Philosophie und Theologie hat man den Menschen hingegen mit René Descartes (1596 – 1650) sehr kühl und rati- onal als „Meister und Besitzer der Natur” tituliert (René Descartes 1637, Discours de la méthode VI,2). Descartes dachte zwar nicht an die rück- sichtslose Ausbeutung der Natur, wohl aber an ihre umfassende Beherr- schung durch menschliche Technologie und Wissenschaft und ebnete so ungewollt den Weg für ihre Ausbeutung.
Lange Zeit sind die christlichen Kirchen mehr Descartes als Hale gefolgt. Damit sind sie an der Ausbeutung und Zerstörung der Schöpfung mit- schuldig geworden, was Papst Franziskus unumwunden anerkennt (LS 67). Erst die Einheitsübersetzung von Gen 1,26-27 aus dem Jahr 2016 hat eine Diktion gewählt, die mehr Hale und weniger Descartes anklingen lässt: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vö- gel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“ „Walten“ statt „herrschen“ – mit einer winzigen Veränderung wird deutlich, dass die Erde nicht unser Besitz ist, sondern eine Leihga- be. Wie Gott soll der Mensch fürsorglich für die Schöpfung da sein, je- dem einzelnen Geschöpf in Liebe zugetan.
Papst Franziskus hat es in seiner spanischen Muttersprache leicht ge- habt, dieser Fürsorge einen treffenden Ausdruck zu verleihen. Der zen-
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