Page 22 - Unsere Brücke - Ausgabe 06 2021
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 Pfarrer Mag.
P. Markus Schlichthärle OFM
Geschwisterlichkeit auch oder gerade mit unserer Schöpfung
Unser Ordensvater Franziskus (Hl. Franz von Assisi) wird sehr oft als „Öko-Heiliger“ dargestellt. Natürlich kann und darf man ihn nicht aus der Perspektive von heute her betrachten, da würde man ihn natürlich Unrecht tun. Klimawandel, Umweltzerstörung, Raubbau an der Natur ... alle diese Schlagworte gab es zu seiner Zeit nicht. Würden wir uns heute, ohne die zuvor genannten Pro- bleme, mit unserer Schöpfung überhaupt auseinandersetzen, ohne die konkrete Zerstörung vor Augen zu haben? Der Hl. Franziskus hat dies gemacht. In seinem Leben gab es sehr viele Verletzungen und Brüche. Ein unruhiges Leben sehen wir bei ihm, welches erst durch Versöhnung und Aussöhnung seine Mitte gefunden hat. So wie er sind wir alle Suchende. In den meisten Fällen wissen wir gar nicht, was wir eigentlich suchen. Franziskus fand in einer ge- schwisterlichen Welt eine Antwort auf eine seiner vielen Fragen. Eine Lösung für ihn und wahrscheinlich auch für viele von uns. Im Lobpreis der Geschöpfe, der besser unter dem Titel Sonnenge- sang bekannt ist, nennt er alle ihm wichtigen Elemente Bruder bzw. Schwester. Das ist ein sehr interessanter Zugang, denn alle diese Dinge: Sonne, Mond, Sterne, Wind, Wasser, Feuer, Erde und Tod, kann man nicht in eine Gattung von Worte stecken. Er steckt den Rahmen bewusst weit. Eine prinzipielle wissenschaftliche Ausgrenzung macht er nicht. Was passiert, wenn ein etwas auf ein- mal Bruder oder Schwester wird? Aus dem sächlichen, neutralen wird etwas persönliches und familiäres – ein Teil von mir und dir.
Für den Hl. Franziskus gab es eigentlich nur eine Ordensregel und zwar das Evangelium. Die Frohe Botschaft Gottes war ihm Kompass und Quelle zugleich. Die Aufforderung Jesu, allen Ge- schöpfen das Evangelium zu verkünden, nahm er buchstäblich wörtlich, was wir besonders bei der sogenannten Vogelpredigt sehen. Kritische Zeitgenossen sehen in dieser besonderen Zuwen- dung zu den Tieren eher eine Spinnerei. Davon abgesehen, dass wahrscheinlich jeder von uns schon mit Tieren gesprochen hat, ist ein kommunikativer Austausch nicht nur zwischen Menschen, sondern auch mit allen Lebewesen außerordentlich wichtig. Mit wem oder was ich in Kontakt bin, kann mir nicht egal sein. Es berührt mich und ich bin auch bereit, etwas zum Wohl des Gegen- übers zu tun. Die Zuwendung zum Gegenüber wandelt und ver- wandelt auch mich selbst, wenn wir uns darauf einlassen. Aber Vorsicht! Jede Begegnung verändert. Nicht jeder will sich daher darauf einlassen. Einfacher wäre es natürlich, dass sich die Anderen verändern, damit man seinen Weg ungestört gehen kann. Das wäre aber ein Verrat an der Grundidee der Begegnung.
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