Page 6 - unsere brücke / Juni bis Dezember 2020
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fr. Ewald Nathanael Donhoffer, OPræm Gast in der Hausgemeinschaft
Einen kurzen Artikel über die „mu- sica sacra“, die Kirchenmusik zu schreiben, gleicht einer Herkulesauf- gabe: Geschichte, biblische Grundla- gen, antike Quellen, bis hin etwa zum Kosmos Johann Sebastian Bach und darüber hinaus: die Wiener Klassik, oder Anton Bruckner und der europäische Cäcilianismus, so- wie die Pluralität des 20. Jahrhun- derts, von Olivier Messiaen, Anton Heiller bis zu Spirituals, Gospels und allen möglichen – teilweise fragwürdigen – Formen sakraler Popularmusik.
Nicht erwähnt wäre dann die jahr- tausendelange Geschichte des gregorianischen Chorals mit seinen Wurzeln im jüdischen Synagogenge- sang. Er ist mit Recht die bis heute „offizielle“ Kirchenmusik, seine theologische Dichte, die schier un- überblickbaren Querbeziehungen zwischen Melodiebildungen, Kom- binationen aus Schrifttexten, sowie der musikalischen Beziehungen in- nerhalb des Choralrepertoires
machen diese „klingende Theologie“ bis heute zur „benchmark“ für jegliches kirchenmusikalisches Schaffen.
Weiters hätten wir dann noch nicht über Formen und Gattungen gesprochen, auch nicht von einer Grundlegung einer kirchlichen Musik: Warum überhaupt?
So unüberschaubar die gesamte Thematik scheint, so wenig Bedeu- tung wird ihr heute zuteil: Der Linzer „Zukunftsweg“ kommt völlig ohne jegliches Statement zum Komplex der „musica sacra“ aus – oder verweist das auf den Umstand, daß Kirchenmusik eine Art unbe- wusste Selbstverständlichkeit unserer Glaubenspraxis ist?
Klar ist: Jedes Lied, das wir in Zeiten der Corona-Krise in unseren Hauskirchen anstimmen, hat tiefe und weitverzweigte Wurzeln im breiten Strom der Geschichte der Kirchenmusik, sei es, weil seine
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Versuch über die Kirchenmusik