Page 4 - Unsere Brücke 06 2019
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 Univ.-Prof. Dr. Georg Fischer SJ
„Seid heilig, denn ich, Jhwh, euer Gott, bin heilig!“
Am Beginn des ersten Briefes an die Gläubigen in Korinth redet Paulus sie an als „Geheiligte in Christus Jesus, berufene Heilige“
(1 Kor 1,2). Damit verbindet er zwei Aspekte im Blick auf das Thema „Heiligkeit“: einerseits, dass sie gegeben wird („geheiligt“; auch „berufen“ deutet darauf), anderseits, dass sie lebende Menschen auszeichnen kann („Heilige“).
Dies zeigt sich auch an anderen biblischen Texten. Eine Schlüssel- stelle ist Gottes Bundesangebot am Sinai, dass das Volk Israel ihm „eine heilige Nation“ werden kann und soll (Exodus 19,6). Der erste Schritt dazu erfolgt gleich wenige Verse später mit der Aufforderung an Mose, das Volk für die Begegnung mit Gott zu „heiligen“, d.h. innerlich und äußerlich dafür vorzubereiten (v10–11 und 14–15).
Schon zuvor, bei den Anweisungen für die eine Woche dauernde Feier von Pesach und Mazzot (Fest der ungesäuerten Brote), kommt Heiligkeit zur Sprache. Am ersten und am siebten Tag wünscht Gott eine „heilige Zusammenrufung / Versammlung“ (Ex 12,16). Diese Tage sind frei von Arbeit zu halten, damit ganz Israel gemeinsam Gottes Befreiung aus Ägypten erinnern und seine bleibende Nähe erfahren kann.
Schon am Anfang der Bibel steht eine solche ‚heilige Zeit‘. Am Ende seines Schöpfungswerks heiligt Gott den siebten Tag (Genesis 2,3) und verleiht ihm damit eine Qualität, die alles Geschaffene, auch den Menschen, übersteigt. Gott selbst begeht ihn mit Arbeitsruhe und vollendet so sein schöpferisches Handeln am Beginn des Kos- mos. Sein Tun soll, wie die ‚Zehn Worte‘ zeigen, auch Maß und Vorbild für Menschen werden: „Gedenke des Tags des Sabbats, ihn zu heiligen!“ (Ex 20,8). Diese Forderung, den siebten Tag freizuhalten von Arbeit und für Gott und die Begegnung mit ihm zu ‚reservieren‘, entlastet vom Druck unaufhörlichen Mühens und lässt aufatmen. Sie hat in fast alle Gesellschaften Eingang gefunden, bis hin zur ‚ver- längerten‘ Form in Gestalt unserer freien „Wochenenden“, und ist das wohl größte Geschenk des biblischen Glaubens an menschliche Lebensgestaltung.
Gott selbst als Ursprung von Heiligkeit
Der Titel dieses Beitrags gibt eine Aufforderung aus dem zentralen Buch der Tora wieder. Gott eröffnet die ‚Gemeinderegel‘ in Levitikus 19,2 mit diesem Appell, nach Heiligkeit zu streben, und begründet ihn mit seinem eigenen Wesen. Ähnliche Formulierungen finden sich in Lev 11,44–45 und 20,7–8, mit zwei zusätzlichen Aspekten: Die Gläubigen haben sich selber zu heiligen (11,44), erfahren dabei
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Heiligkeit in der Bibel
























































































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