Page 15 - Unsere Brücke 06 2019
P. 15

als regelmäßiges Beratungsgremium des Papstes
etabliert, der sogenannte Index der verbotenen
Bücher abgeschafft, die über neunhundert Jahre
dauernde Exkommunikation der orthodoxen Amts-
träger aufgehoben, die Liturgie der katholischen
Kirche reformiert, das päpstliche Zeremoniell auf ein
Minimum reduziert u.v.m. Einen besonderen Akt der
Bescheidenheit setzte Paul abseits vom Treiben des
Konzils als er wenige Monate nach seiner Wahl die
Papstkrone (Tiara) symbolisch für immer ablegte und
das Geld den Armen spendete. Paul reformierte die
Kirche im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils
in einer Größenordnung, die vermutlich vor ihm
noch nie dagewesen war. Mit seinen verschiedenen
Reformen stand Paul VI. aber zumeist relativ allei-
ne da, denn für die Bewahrer war er zu progressiv,
den Fortschrittlichen zu konservativ. Unter diesen Unstimmigkeiten innerhalb der Kirche litt Paul zeit seines Pontifikats. Am Ende seines Lebens musste jener Mann, der sein gesamtes Leben in den Dienst Gottes gestellt hatte, seine größte Enttäuschung erleben: die Entfüh- rung seines Freundes und italienischen Politikers Aldo Moro. Trotz eines öffentlichen Bittbriefes und dem Angebot sich als Geisel aus- tauchen zu lassen, musste Paul den Tod Moros zur Kenntnis nehmen. Wenige Wochen vor seinem eigenen Tod feierte der Papst das Requiem für seinen Freund und klagte vor aller Welt Gott wegen seines Ver- säumnisses an. Diese Anklage verdeutlicht einerseits den Schmerz eines Papstes, dessen Vision und Einsatz für die Kirche wenig Be- achtung fand, und zeigt andererseits sein Gottvertrauen. Trotz allem Schmerzes richtete er seine Klage an Gott. Gott ist sein erster Adressat.
An Papst Paul VI. wird Heiligkeit in spannender Weise sichtbar:
Man könnte sagen, trotz seiner Talente misslingt ihm die Reform der Kirche. Bei seinem eigenen Requiem, seiner Selig- und Heiligspre- chung blieben die üblichen Massen an Gläubigen aus. In vielem wurde er missverstanden, aber er ging seinen Weg der Annäherung an die Gesellschaft, die Arbeiterschaft, die Andersgläubigen mit vollem per- sönlichen Einsatz und stetem Gottvertrauen. Das meiste aber davon in Stille. Heiligkeit bedeutet nicht, Erfolg haben zu müssen...das macht uns auch jedes Jahr der Karfreitag bewusst.
 13















































































   13   14   15   16   17