Page 12 - Unsere Brücke 06 2019
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 Sr. Hildegard Enzenhofer SDS Leiterin des Pflege- heims „Beit Emmaus“ in Qubeibeh
Heiligkeit als Haltung
Als Ordensfrau in muslimischer Umgebung über Heiligkeit nachdenken
Mit dem Begriff „Heiligkeit“ können Menschen oft nicht viel anfan- gen. Er ist zu abstrakt und klingt exklusiv. Mein Leben hat mich ge- lehrt, dass Heiligkeit eine Haltung ist, die sich am Nächsten orientiert und Antwort gibt auf die sozialen und politischen Fragen der Zeit.
Heiligkeit in meiner Kindheit
Geboren bin ich auf einem Mühlviertler Erbhof, dessen Wurzeln in das 15. Jahrhundert reichen. Bereits in meiner Kindheit lernte ich, dass
es Tage, Feste, Gegenstände gibt, die sich vom Alltäglichen unter- scheiden, die meiner Familie HEILIG waren: dazu gehörten vor allem der Sonntag, die Feiertage der Bauern, die Geburts- und Namenstage der Familienmitglieder, aber auch der Herrgottswinkel, unsere Tauf- kerzen, die Sterbekerzen der Vorfahren und Vieles mehr. In meinem Elternhaus wurde gebetet: Am Morgen, am Abend, vor und nach dem Essen, um eine gute Ernte, es gab den Segen für Mensch und Tier, für die Felder und ihre Früchte, nichts war selbstverständlich, nicht die Geschenke und nicht das Leid. Alles kam aus Gottes Hand, auch wenn der Sinn erst Jahre später erkannt oder auch nicht erkannt wurde. Gelernt habe ich von meinen Eltern, dass das, was wir in der Kirche gehört haben, etwas mit dem Alltag zu tun hat, dass wir VERANT- WORTUNG haben: Wir besuchten am Sonntag öfters alte und kranke Menschen, halfen bei aufziehendem Gewitter zuerst den Nachbarn und haben dann erst unsere Ernte eingebracht, hörten Menschen zu, nahmen sie in unserem Haus auf.
Mein Vater, der auch politisch tätig war, hat mich Verantwortung ge- lehrt. Gott ruft uns in die Verantwortung und Papst Franziskus nennt es „die Sorge für das gemeinsame Haus“.
Heiligkeit im Leben als Salvatorianerin
Gott hat mich in die Gemeinschaft der Salvatorianerinnen berufen, eine weltweite Ordensgemeinschaft, die sich für ein MEHR AN LEBEN für alle Menschen einsetzt, was auch heißt, gegen ungerechte Struk- turen aufzutreten.
Seit mehr als 17 Jahren lebe ich in Qubeibeh, einem kleinen palä- stinensischen Dorf. Dort leite ich eine Pflegeinrichtung für alte und behinderte Menschen und eine Pflegefakultät. Ich lebe und arbeite in einer internationalen und interreligiösen Hausgemeinschaft und in einer total muslimischen Umgebung. Ich erlebe das als Herausforde- rung, aber auch als großes Geschenk.
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