Page 8 - Brücke 06 2018
P. 8

 6
Bernhard Eckerstorfer OSB
„Berufung heute“ aus der Sicht eines Benediktiners
Gerne komme ich der Bitte nach, mir für die Zeitschrift unseres Priester- seminars Gedanken über das Thema Berufung zu machen. Der heilige Benedikt will als Mönche Menschen haben, „die das Leben lieben“ (RB, Prolog 14; vgl. Ps 34,13). Diese Grunddimension von Berufung vermit- telte mir auf meiner Suche besonders Josef Maureder SJ: Gott hat uns ins Dasein gerufen und möchte uns dort haben, wo wir größere Liebende werden; selbst erfüllt zu leben und Gott sowie den anderen Menschen zu dienen, darin liegt unsere Berufung.
In meinem eigenen Lebensweg und im Leben anderer, die ich beglei-
ten darf, sind Vorbilder entscheidend. Mein Linzer Hauptschullehrer Gerhard Tlusty hat mich sosehr beeindruckt, dass ich selbst Religions- lehrer werden wollte. Als Theologiestudent lernte ich Benediktiner kennen, deren Lebensweise mich derart ansteckte, dass ich mit 29 Jahren selbst Mönch wurde. Und heute darf ich immer wieder auf Menschen treffen, deren Beispiel mich anregt und auch in Frage stellt. Die Berufung ist nicht ein für alle Mal gefunden; sie will stets erneuert und in den gegebenen Situationen verwirklicht werden.
Im Hinblick auf das Priestertum oder das Ordensleben möchte ich zwei Gefahren nennen. Zum einen ist es heute schwieriger als in vergangenen Zeiten, endgültige Entscheidungen zu treffen. Jede Wahl ist auch eine Abwahl – und das fällt uns schwer. Ich hatte mich zehn Jahre mit dem Gedanken getragen, einmal ins Kloster zu gehen. Den Schritt tatsächlich zu wagen, dazu halfen mir eine Reihe von Einsichten und Erfahrungen. Z.B. lernte ich in den USA während meines Studiums einen bereits älteren Mann kennen, der immer ins Catholic Student Center zu den Gottesdiensten kam. Als er von meinen Überlegungen über einen Kloster- eintritt hörte, erzählte er mir mahnend von seiner verfehlten Berufungs- geschichte. Er hatte schon den Wunsch, ins Priesterseminar zu gehen, mit 20 Jahren. Mit 25 dachte er, jetzt müsse er erst einmal ausüben, was er gelernt hatte. Mit 30 bereute er, nicht mit 25 ins Seminar gegangen zu sein. Mit 35 meinte er, er hätte es noch mit 30 tun sollen, nun sei es aber zu spät. Mit 40 erkannte er, dass mit 35 noch dieser Schritt dran gewesen wäre ... „Do not make the same mistake“, schärfte er mir ein.
Eine andere Gefahr erlebte ich durch zwei verschiedene neue Gemein- schaften, die ich im Studium in Wien und bei einem Besuch in Rom kennenlernte und die mich mit Druck für sich zu gewinnen trachteten. Erst im Rückblick merke ich, wie subtil es ihnen vor allem um Re- krutierung ging, nicht darum, dass ich meinen Weg mit Gott finde. Im Vergleich dazu erlebte ich die monastischen Orden als viel freier und in ihrer Gastfreundschaft nicht so berechnend. Traurig oder sogar wütend



























































































   6   7   8   9   10